Lehrplanforschung

Curriculare Planungen

Riskante Diskursentmischung in der Demokratie

Posted on | Mai 13, 2013 |

Die D-EDK hat das Institut für angewandte Medienwissenschaft (IAM) der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaft beauftragt zu prüfen, ob sich der neue Lehrplan 21 sprachlich auch eigne zur öffentlichen Kommunikation. Das kann man einer Notiz auf der Webplattform des Institutes seit dem 07. 05. 2013 entnehmen. http://www.zhaw.ch/de/zhaw/forschung/detailansicht/news/iam-evaluiert-den-text-des-lehrplans-21.html

Das ist in mehrfacher Hinsicht ein bemerkenswerter Entscheid. Der Entscheid weist zunächst daraufhin, dass Kommunikation für die Akzeptanz und die praktische Umsetzung und Wirksamkeit von Lehrplänen eine grosse Bedeutung hat.  Es ist gut zu wissen, dass die Verantwortlichen für die gewiss grösste Lehrplanreform in der Schweiz dieser Bedeutung Rechnung tragen. Mit ihrem Entscheid für solche professionelle Analyse und Umsetzungshilfe kann auch das Geschäft der Lehrplanung einen weiteren Schritt hin zur Professionalisierung der Schulpolitik verzeichnen.

Das ist die anerkennenswerte Dimension dieses Entscheids. Er hat allerdings auch zwei bedenkenswerte problematische Dimensionen.

Zum einen steht er in einem seltsamen Gegensatz zur bislang praktizierten Praxis einer Politik der Geheimhaltung der Entwicklungsarbeit am Lehrplan. Dass nun kurz vor der angekündigten Vernehmlassung, also der Eröffnung eines demokratischen Beratungs- und Diskursverfahrens der Auftrag an eine Forschungs- und Beratungsstelle ergeht, das Produkt auf seine kommunikative Tauglichkeit zu prüfen,  kann eigentlich nur zweierlei bedeuten: a) der Auftrag bestätigt ein Verständnis von Lehrplanentwicklung als fachinterne administrative Entwicklungsarbeit und b) in der Projektleitung sind selbst Zweifel an der Tauglichkeit ihrer bisherigen Strategie einer apolitisch fachinternen Lehrplanproduktion aufgekommen.

Im ersten Fall soll mit Hilfe der angestrebten Analyse das Ergebnis der Lehrplanentwicklung möglichst wirksam und politisch geschickt kommuniziert werden. Geschickt kommunizieren meint dann primär gegen mögliche Einwände absichern und allfällige Angriffsflächen glätten, die Sprache und Wortgebrauch bieten könnten. Kurz, der Entscheid wäre dann vor allem Ausdruck einer Verkaufsstrategie und weniger eines Willens zur offenen schulpolitischen Diskussion und Verständigung über allenfalls strittige Aspekte. Er zeugte dann weniger von Respekt gegenüber den pädagogischen und schulfachlichen Laien, deren Mitsprache in der Vernehmlassung inszeniert wird, als vom Willen, diese zur Zustimmung zu überreden. Für eine solche Deutung spricht auch der Umstand, dass die Projektleitung diesen nicht ganz unbedeutenden Entscheid selber – bislang jedenfalls – nicht  auf der eigenen offiziellen Webseite des Projektes publiziert hat.  Er findet sich,  wie eingangs erwähnt,  versteckt in einer Verlautbarung der beauftragten Institution.

In zweiter Hinsicht kann der Entscheid unabhängig von seiner sachlichen Nützlichkeit, so kurz vor der Vernehmlassung getroffen, auf eine merkwürdige Scheu  vor der Öffentlichkeit hindeuten. Er käme dann fast einem Offenbarungseid der Projektleitung gleich, mit der gewählten Strategie – in  einem immer noch basisdemokratisch geprägten Lande zumindest – eine  höchst riskante Politik verfolgt zu haben, deren möglicherweise negative Folgen zumindest etwas abgefangen werden sollen.

Nun ist eine Trennung der fachlichen und administrativen Lehrplanentwicklung von der öffentlichen politischen Debatte um Schule, ihren Auftrag und ihre Inhalte keine neue Erfindung. Sie ist im Gegenteil eines der markantesten Ergebnisse schulbürokratischer Differenzierungsprozesse, die mit dem Aufbau der preussischen Bildungsbürokratie im 19. Jahrhundert einsetzte. Der Lehrplanhistoriker Stefan Hopmann hat dafür den Ausdruck „Diskursentmischung“ geprägt. Die Trennung gilt seither vielfach als Erfolgsbedingung schuladministrativer Sachentscheidungen. Im Kontext schweizerischer Schulpolitik freilich hat eine solche Trennung bislang jedenfalls kaum funktioniert. Hier galt vielmehr das basisdemokratische Gebot der Diskursmischung, das heisst der gewollten und beabsichtigten Verständigung von Laien und Experten in öffentlichen Prozessen der Entscheidungsfindung.  Die  schweizerische Institution der Vernehmlassung verdankt sich unter anderem solchem Politikverständnis. Nun ist die akzeptanzfördernde Wirksamkeit von Vernehmlassungen wesentlich davon abhängig, wie weit sie als entwicklungsbedeutsam erfahren und wahrgenommen wird, wie viel Zeit ihr eingeräumt wird und wie deren Ergebnisse verarbeitet werden. Da die Vernehmlassung eine Art ‚Wiedergutmachung‘ des entmündigenden Entzugs von sachlicher Mitsprache ist, werden die Erwartungen an sie umso grösser, je entmischter in unserem Falle die Lehrplanentwicklung organisiert ist. Das gilt jedenfalls dort und solange, als die Trennung von fachlichem Diskurs und öffentlich politischer Verständigung als Expertokratie und/oder zumindest als  demokratietheoretisch problematisch wahrgenommen wird.

Es gehört zu den Besonderheiten des Schul- und Lehrplandiskurses, dass die legitimitätsstiftende Kraft repräsentativer Partizipation, auf welche die Projektleitung mit ihren Hinweisen auf breite Beteiligung der Betroffenen zu setzen scheint, hier in aller Regel nur schwach ist. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Grenzziehung zwischen Experten und Laien nur schwach ausgeprägt ist und auch nur geringe Anerkennung geniesst. Und es hängt zweitens damit zusammen, dass die Adressaten des Lehrplanes, die Lehrerinnen und Lehrer sich durch Ihresgleichen nur sehr bedingt sachlich vertreten fühlen. Wie verschiedene eigene Studien gezeigt haben, kommt die Mitwirkung in einem Lehrplanentwicklungsteam der Administration einer Art Frontenwechsel gleich. Lehrerinnen und Lehrer in Lehrplanprojekten werden von ihren Kolleginnen und Kollegen schnell als Teil der Administration wahrgenommen. Je stärker sie involviert sind, umso mehr schwindet ihre berufsständische Autorität, für ihren Stand auch noch sprechen zu können. Auch dies belastet die geplante Vernehmlassung zusätzlich.

Ob die neue schweizerische Form bürokratischer Differenzierung im Schulbereich, wie sie mit dem Projekt Lehrplan 21 versucht wird,  gelingt, wird sich zeigen. Im Blick auf die kritische öffentliche Wahrnehmung der ‚Geheimhaltungspolitik‘ der Projektleitung hat diese jedenfalls Anlass genug, der Vernehmlassung mit einiger Sorge entgegen zu sehen. Es war und bleibt allemal riskant, die öffentliche politischen Debatte um Schule, ihren Auftrag und ihre Inhalte an die Diskussion um ein mehrhundertseitiges Fachdokument, genannt Lehrplan 21, zu knüpfen. Das zu erkennen, dafür bräuchte es keine medienwissenschaftliche Analyse.

Aarau, Mai 2013

Rudolf Künzli

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