Schulpolitik als Sprachübung:
Posted on | November 2, 2011 |
„Frei geben“, „einfliessen“ und „einarbeiten“
(R. Künzli) Worte können vielsagend sein. Auch die von Mitteilungen und Verlautbarun-gen. Besonders die einfachen, die vor Klarheit so sehr glänzen, dass sie uns blenden. Als die Eidgenössische Erziehungsdirektoren Konferenz am 16. Juni dieses Jahres die Bildungsstandards für die Schulsprache, die Mathematik, die Fremdsprache und die Naturwissenschaften beschloss, verkündete sie diesen Beschluss mit den Worten: „Frei gegeben von der EDK Plenarversammlung“. Dabei muss man nun wissen, dass diese ‚ersten nationalen Bildungsstandards für die obligatorische Schule‘ eine Umsetzung des Auftrages von Artikel 7 des HarmoS-Konkordates sind. Für Kantone, welche diesem Konkordat beigetreten sind oder noch beitreten, sind sie eine verbindliche Vorgabe für die Ziele ihrer kantonalen Volksschulen. Ihre Verbindlichkeit für alle Kantone beruft sich explizit auf den neuen Artikel 62 der Bundesverfassung. Dieser Artikel droht den Kanto-nen, sollten sie sich nicht ‚auf dem Koordinationsweg‘ über gemeinsame ‚Ziele der Bildungsstufen‘ einigen, mit dem Erlass der ‚notwendigen Vorschriften‘ durch den Bund. Vor diesem Hintergrund erhält das schöne Wort vom ‚frei geben‘ einen ganz eigenen Glanz. Da werden uns also zwingende Vorgaben frei gegeben, die wir nun nutzen und geniessen dürfen! Dass man solches auch so kommunizieren kann, darauf muss man erst einmal kommen. Dass die neue Rechtschreibung keinen Unterschied mehr erlaubt zwischen freigeben und frei geben, gehört zum orthographisch geborgten Tiefsinn der Wendung.
Ähnlich kreativ geht es weiter. Die nationalen Bildungsstandards sind zu ‚Grundkompe-tenzen‘ geworden. Die ‚Standards‘ sind in den Untertitel gewandert, und so fällt der Zweck des Unternehmens nicht mehr so unvermittelt mit der Türe ins Haus. Aber solche Verhöflichung der Sprache irritiert mehr, als dass sie einnimmt für die Sache. Es geht einem dann wie so oft, wo nackte Wahrheit allzu verkleidet daher kommt: man merkt die Absicht und ist verstimmt.
Indessen werden wir weiter getröstet, vertröstet gar: Die Standards oder Grundkompe-tenzen sind ja gar nicht ‚direkt für die Schulpraxis gedacht‘, heisst es da. Bloss als Ziel-vorgaben sollen sie ‚einfliessen‘ in die sprachregionalen Lehrpläne. Nicht von ‚ein-setzen‘, ‚in Kraft setzen‘ oder gar von ‚ersetzen‘ ist hier die Rede, nein, die Vorgaben kommen viel geschmeidiger daher, gleichsam als flüssiges Element, nicht widerständig, sondern umspülend, sich anschmiegend.
So sind denn nun die Lehrplanmacher und Lehrmittelautoren angesprochen, nicht die Schulen, nicht die Lehrer, auch nicht die Eltern oder Schüler gar, wenn es um die Um-setzung dieser Zielvorgaben geht. Ihnen freilich wird gesagt, sie sollen sie ‚einarbeiten‘ in den Lehrplan21 zum Beispiel. Was da einfliesst, soll also bearbeitet werden. Was das heisst, bleibt hier vorderhand genauso offen, wie die andere Frage, woran dann dereinst gemessen und verglichen werden soll, was Schülerinnen und Schüler gelernt haben, an den Zielvorgaben oder den eingearbeiteten Lehrplanzielen, diesen neuen Standard-derivaten, wie man die eingeflossenen und abgeleiteten Konstrukte zeitgemäss auch benennen könnte.
So haben wir nun die Zielvorgaben und haben sie doch nicht. Sie müssen ja noch einge-arbeitet werden, geformt und zum Lehrplan, zum Lehrmittel geknetet. Denn wer weiss, was daraus entsteht? So müssen wir uns wohl noch auf allerhand gefasst machen, und wie bei Kindern, denen man Plastilin, jenen andern beliebten bunten Bildungsstoff gibt, man weiss nicht recht, soll man sich auf ein ansehnliches Ergebnis freuen oder sich einfach mal an ihrem Kneten ergötzen. Fürs erste wünschen wir dem Projektteam viel Freude beim Kneten, pardon, beim ‚Einarbeiten‘ der Grundkompetenzen.
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