Lehrplanforschung

Curriculare Planungen

Irrlichternde Bildungsvision eines Liberalen

Posted on | Dezember 19, 2013 | Kommentare deaktiviert für Irrlichternde Bildungsvision eines Liberalen

Notizen zu „Unterwegs zur Bildung“  von Robert Nef in NZZ 12.12.2013 S. 23

Es ist nicht ganz einfach herauszufinden, wovon in dem Artikel genauerhin die Rede ist. Der Untertitel qualifiziert Europas ‚vorherrschenden Bildungsbegriff’ als ‚politisch aufklärerisch‘, welcher näherhin als ‚Bildung zur Selbstverwirklichung, Bildung als Emanzipation‘ bezeichnet wird. Das wird dann auch gleich noch an ‚Kompetenzen‘, die ‚auf gesellschaftspolitische Zielvorstellungen abgestimmt‘ sind, festgemacht. Das ist eine ziemlich interessierte Bündelung von Aspekten, die zum einen versucht, den für den europäischen  Bildungsbegriff konstitutiven staatsliberalistischen Gedanken eines Humboldt und eines Zschokke aus dem vorherrschenden Bildungsbegriff herauszufiletieren, was diesen dann auch leichthin  in eine ‚gesellschaftpolitisch linke Ecke‘  stellt. Der ehemalige Herausgeber des ‚schweizer monat‘ präpariert sich so seinen Gegenstand zum ‚linken‘  Konterpart seiner eigenen liberalistischen Weltsicht. Dass der Begriff der ‚Kompetenzen‘ auch diesem ‚linken‘ Bildungskonzept zugerechnet wird, verwundert denn doch etwas, kommt dieser doch aus dem Bereich beruflicher Qualifizierung einerseits und einer empiristisch pragmatischen Psychologie der Leistungsmessung und des personal assessments andererseits. Und er ist schliesslich der Schlüsselbegriff des OECD-Konzepts des lebenslangen Lernens  bereits im Bericht von Jacques Delors und dann weiter im UNESCO Projekt ‚Definition and Selection of Competences‘ (DeSeCo). In der laufenden Diskussion gelten Kompetenzen und Bildung in vieler Hinsicht im Gegensatz dazu als geradezu komplementäre, wenn nicht gegensätzliche Konzepte.

Der erste Absatz des Artikels von Nef findet wohl über alle gesellschafts- und bildungspolitischen Positionen hinweg vorbehaltlose Zustimmung. Aber schon im nächsten Absatz beginnt ein wahres Verwirrspiel des Autors mit der Bildung, der Schulbildung, der Ausbildung und der Menschenbildung. Die Sätze erhalten je einen anderen Sinn, wenn man sie auf die Lern- und Bildungsprozess von vier bis 10 oder 12 Jährigen, von 12 bis 18 Jährigen bezieht oder auf ältere. Sie erhalten auch einen je anderen Sinn, ob von einer allgemeinen schulischen Grundbildung die Rede ist, von einer wissenschaftlichen Grundbildung, einer Berufsbildung, einer akademischen Berufsbildung oder einer höheren Berufs- und Weiterbildung, ganz zu schweigen von einer allgemeinen Persönlichkeitsbildung.

Was soll in einer bildungspolitischen Kolumne ein Satz heissen wie dieser: „Wer lebenslänglich lernt, muss auch lebenslänglich bereit sein, seine Erfahrungen und sein Wissen weiterzugeben“? Soll der 55-Jährige Betriebsleiter die Weiterbildung für seine jüngeren Berufskollegen organisieren und durchführen? Und ist das wirklich eine Frage des „Bereit-seins“ oder vielleicht doch besser des „Dürfens und Könnens“? Meint der Hinweis auf den zweiten Bildungsweg in einem Bildungssystem, in dem rund 80% der Jugendlichen mit 16 Jahren einen beruflichen Bildungsweg einschlagen, dass auch die übrigen 20%, bevor sie weitere schulische, gar staatliche – horribile  dictu – ,  Einrichtungen besuchen, einen beruflichen Bildungsweg einschlagen sollen, um dann  die Matura und allfällige Hochschulbildungen auf dem zweiten Bildungswege erwerben sollten? Weiss der Autor überhaupt, wie viele diesen zweiten Bildungsweg in unserem System schon gehen, über Berufsmatura, über Erwachsenenmatura, über Berufswechsel und höhere Berufsbildungen? Oder sind diese Bemerkungen bloss für einige unserer südeuropäischen Nachbarn geschrieben?

Wie seltsam verengend und schief der Autor unser Bildungssystem beschreibt, zeigt sich etwa in der Bemerkung, dass es auch „in Zukunft Institutionen, ….  Schulen und Hochschulen“ … „im herkömmlichen Sinne“  geben werde, in denen „professionell ausgebildete  Lehrpersonen, … sich hauptberuflich der Menschenbildung widmen“.  Was für eine Beschreibung des gesellschaftlichen Auftrages unserer Schulen und Hochschulen, in denen doch u. a. auch Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt und gelernt wird, oder u.a. auch Maschinenbauer, Architekten, Informatiker,  Mediziner und Cellisten, Sozialarbeiter und – nochmals  horribile dictu – Lehrerinnen  und Lehrer ausgebildet werden.

Dann möchte man dem Satz „Aus liberaler Sicht beruht Bildung auf einer geglückten Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden“ ja gerne zustimmen, stünde da nicht die Einschränkung „aus liberaler Sicht“.  Warum denn aus liberaler Sicht und ausgerechnet aus liberaler Sicht? Wo, so fragt man leicht irritiert,  wo wäre denn jener liberalpolitische Autor im Sinne von R. Nef, der dazu Wesentliches gesagt und formuliert hätte, dass man diese Sicht seiner Gruppierung zuschreiben dürfte oder müsste? Es scheint vielmehr, dass der Autor nicht gesucht hat oder hat suchen wollen, wo diese seine ihm „unmittelbar einleuchtende Umschreibung von Bildung“  sich in der Fachliteratur hätte finden lassen. Mir jedenfalls fallen dazu eine eine ganze Reihe von Autoren und bildungstheoretischen und erziehungspraktischen Positionen ein, für die diese Umschreibung nicht bloss zutrifft, sondern mehr noch Grundlage ihrer Konzeption ist und war. Nur sind das kaum Autoren und Positionen,  die der Gründer des ‚Liberalen  Instituts‘  wohl als ‚liberal‘ bezeichnen würde. Leonard Nelson z. B., der Kantianer, bekennende Sozialdemokrat und Begründer der sokratischen Methode oder der symbolische Interaktionismus von George H. Mead und dessen viele pädagogische Variationen und Anwendungen, oder die erkenntnis- , bildungs- und gesellschaftstheoretische wie -praktischen Auslegungen des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, das Konzept der themenzentrierten Interaktion der humanistischen Psychologin Ruth Cohn, von Hermann Nohls ‚pädagogischem Bezug‘, Otto Friedrich Bollnow ‚pädagogischer Atmosphäre‘  und Martin Bubers ‚dialogischem Prinzip‘ ganz zu schweigen. Von kaum einer anderen Idee war die Pädagogik und Bildungspolitik der so genannten 68er in ihren vielen Variationen stärker geprägt als von der Idee geglückter symmetrischer Kommunikation zwischen Alten und Jungen, Erwachsenen und Unerwachsenen, Erfahrenen und Unerfahrenen, Kennern, Könnern und Anfängern usw..  Wenn Robert Nef all diese ausgearbeiteten Varianten bildender Kommunikation nicht meint, was meint er dann?

Zur konservativen Sicht der Bildung weiss der Autor dürftig wenig zu sagen. Er braucht sie wohl bloss dafür, seiner eigenen so verstandenen liberalen Sicht eine politische Mitte zu sichern.

Was er dann einem in Europa ‚vorherrschenden Bildungsbegriff politisch aufklärerischer Provenienz‘ zuschreibt und im ‚politischen Koordinatennetz  «Mitte Links»‘ positioniert, enthält dann so ziemlich alles, was an Clichées zur Charakterisierung  einer zentralstaatlich organisierten Bildungspolitik planwirtschaftlich herzustellenden und zu sichernden Bildungsgerechtigkeit und Förderung individueller Selbstverwirklichung abseits marktwirtschaftlicher Lebensrealität zur Verfügung steht.   Die Kompetenzen, die da in den Plänen und Programmen dieser Bildungspolitiken festgeschrieben seien, würden nicht primär auf die jeweiligen wirtschaftlichen Arbeitsmarktbedürfnisse, sondern  auf gesellschaftspolitische Zielvorstellungen abgestimmt. Die wirtschaftliche Realität habe sich dann in erster Linie den Zielen und Plänen der Bildungspolitik anzupassen und nicht umgekehrt. So laute das ambitiöse Programm einer öffentlich organisierten und finanzierten Bildungsvermittlung, die sich auf den Primat der Politik abstütze. Leider unterlässt es der Autor auch hier, uns mit dem einen oder andern Beispiel etwas Hilfestellung zu geben bei der Suche nach den Wirklichkeiten, die er meint. So bleiben wir ratlos und suchen vergeblich, wo ein solch vorherrschender Bildungsbegriff in Europa sich breitgemacht hätte.  Auch fragt sich der Leser, ob denn das liberale Bildungskonzept der geglückten Kommunikation zwischen Gleichberechtigten von Herrn Nef primär auf die Befriedung und Befriedigung der schnell sich verändernden Arbeitsmarktbedürfnisse ausgerichtet ist oder sein müsste. Wo, so fragt man sich weiter, hätte sich ‚die wirtschaftliche Realität … in erster Linie den Zielen und Plänen einer solchen Bildungspolitik‘ angepasst? Wo hätten sich denn die Realität der wirtschaftlichen Globalisierung und gesellschaftlichen Mobilität den pädagogischen und bildungspolitischen  Vorgaben gebeugt oder beugen müssen, wo wären die Finanzmärkte deren Empfehlungen gefolgt, wo hätte sich der technologische Fortschritt nach den vorherrschenden Bildungskonzepten gerichtet? Freilich aus der Perspektive des Autors könnte man die grassierende Bildungspolitik vielleicht doch noch für den demographischen Wandel verantwortlich machen, hat diese doch unsere Frauen aus dem Kreisssälen in die Hörsäle und schliesslich auf die quotierten Vorstandssessel unserer börsenkotierten Unternehmen getrieben.

Die Einladung zum offenen Wettbewerb der Ideen beim erforderlichen Umbau auch unserer Bildungssysteme, für die Nef im nächsten Abschnitt plädiert, möchte man gerne annehmen. Freilich wünschte man sich, dass solcher Wettbewerb auf der Grundlage von minimaler Welt- und Sachkenntnis erfolgte und ohne ausschliessende Konditionen und Festlegungen, vielleicht gar annähernd herrschaftsfrei, gutwillig und unvoreingenommen. Nur unterstreichen kann man dann den Satz ‚Wer Bildung vermittelt, muss selbst bereit sein, permanent zu lernen, und das Wagnis einzugehen, bleibende Werthaltungen an immer wieder neue Herausforderungen anzupassen‘.  Das gilt freilich auch für die Verfechter der bleibenden Werte des Liberalismus.

Aarau, 12. 12.2013

Rudolf Künzli

Präzise ist nicht auch schon verständlich!

Posted on | November 27, 2013 | Kommentare deaktiviert für Präzise ist nicht auch schon verständlich!

Da hat man sich nun Mühe gegeben, die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler im Lehrplan endlich mal präzise zu beschreiben und über tausend Kompetenzen und Kompetenzstufen formuliert. Und was ist der Dank dafür? Nun wird ‚genörgelt‘ und kritisiert, der Lehrplan sei nicht verständlich, für Eltern nicht lesbar, auch nicht für Schülerinnen und Schüler und erst noch zu viel. Man wisse nun trotz des detaillierten Kompetenzaufbaus in den einzelnen Kompetenzbereichen doch nicht recht, was am Ende eines Lernzyklus genau zu wissen sei und dies trotz professionell und farbig gestalteter Kennzeichnungen von Mindestanforderungen samt flexiblen Übergängen. So ein Tenor aus den bisherigen Ergebnissen der Konsultation zum Lehrplan 21.  

Nun, es kam, wie es kommen musste. Das in emsig stiller Arbeit entwickelte und durch-designte Werk erfährt mehr Skepsis als Bewunderung. Nicht geholfen hat der Einsatz von Kommunikations- und PR-Spezialisten, nicht die obrigkeitliche Versicherung, im Grunde bleibe im Unterricht doch alles beim Alten, es gehe doch bloss um den epochalen Schritt zu einem sprachregionalen überkantonalen Lehrplan und das sei doch nun gelungen.

Es ist eines der vielen Missverständnisse, die das grosse Projekt Lehrplan 21 von Anfang an begleitet und geprägt hat, dass Lehrpläne für die obligatorische Volksschule primär fachwissenschaftliche Texte zu sein hätten und nicht verwaltungsrechtliche und politische Dokumente. Alle diese Ansprüche in einem Text zu vereinbaren, ist eine hoch anspruchsvolle Herausforderung. Im Lehrplan 21 ist sie nicht gelungen. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Autorinnen und Autoren Präzision mit Verständlichkeit in eins gesetzt oder verwechselt haben.

Das Konzept der Kompetenzorientierung ist zwar einerseits äussert populär und plausibel, im ausserschulischen Bereich und im Wirtschaftsleben vor allem, andererseits aber theoretisch doch ziemlich unausgereift und fragil. Zwar scheint die Intention des Begriffes klar zu sein, nicht hingegen seine Extension. Denn was Kompetenz ausmacht, wo sie beginnt, ab wann es sinnvoll ist, jemanden kompetent in einer Sache zu nennen, ist selbst in beruflichen und lebenspraktischen Zusammenhängen nicht einfach zu bestimmen, umso schwieriger ist das für die elementare allgemeinbildende Schule.  Denn was soll man hier Kompetenz nennen, schon das Binden der eigenen Schuhe, das Beherrschen des Einmaleins samt Grundrechnungsarten oder erst die Buchführung des eigenen Taschengeldes und die Kontrolle des Einkaufs im Supermarkt oder einfach alle gleichermassen? Aber wie kann man das denn lernen? Was davon kann man auch lehren, und wie? Was hilft zu solcher Kompetenz, wenn man es in der Schule durchgenommen hat? Und sind die Kinder dann schon kompetent, wenn sie es durchgearbeitet und geübt haben? All das sind weithin offene Fragen.

Dass die mit der Kompetenzorientierung erreichte Präzision in der Formulierung der Leistungserwartungen an die Schülerinnen und Schüler auf Kosten der Inhalts- und Reflexionsorientierung geht, ist vielfach bemerkt und moniert worden. Sie geht auch – und dies haben die Autorinnen und Autoren übersehen – auf Kosten der Klarheit und Verständlichkeit. Wenn die Mindestanforderung für den zweiten Zyklus im Kompetenzbereich „Stoffe, Energie und Bewegung beschreiben und untersuchen“ im Lernbereich Natur-Mensch-Gesellschaft der Kompetenz „Die Schülerinnen und Schüler können Erfahrungen mit Kräften und Bewegungen beschreiben und einordnen“ lautet: „Die Schülerinnen und Schüler können Geschwindigkeiten vergleichen und Geschwindigkeitsänderungen beschreiben“, so ist das zweifellos intentional präzise, aber extensional ziemlich leer. Auch fragt man sich, worin denn die Abstufung in den drei Versionen oder Kompetenzstufen besteht. Auf der obersten Stufe ist nur von ‚Bewegungen die Rede, auf der Folgenden von ‚Erfahrungen mit Bewegungen und auf der untersten dritten Stufe von ‚Geschwindigkeiten und Geschwindigkeitsänderungen‘. Offen bleibt auch hier, in welchen Bereichen und an welchen Beispielen diese Kompetenz denn erarbeitet werden soll, im Bereich der Technik oder am Beispiel menschlicher oder tierischer Fortbewegungen oder im Bereich der vollelastischen physikalischen Körper oder im Bereich von Naturphänomenen wie Wind, Wasser, Lawinen etc. Nun kann man sagen, dies zu entscheiden, sei eben Sache der Lehrpersonen und hänge dann ab von deren richtiger Einschätzung von Fassungsvermögen und Interessen ihrer Schülerinnen und Schüler und auch von  eigenen Vorlieben und eigenem Kenntnisstand. Allerdings stellt sich natürlich sofort die Frage, ist diese Kompetenz wirklich themen- und bereichsunabhängig. Lernen die Kinder wirklich dasselbe, wenn Sie die Bewegungen von Hunden, Gazellen, Pferden und Schildkröten oder Schlangen vergleichen und beschreiben und wenn sie das bei Fahrrädern, Autos, Eisenbahnen und Flugzeugen tun? Nun kann man sagen, das eben sei die Kompetenz, die hier gefordert ist, dass sie das bereichsunabhängig könnten – eine  nicht ganz unproblematische Annahme allerdings. Wenn das so gemeint ist, müssen sie das dann auch in allen möglichen Bereichen in der Schule behandelt und geübt haben? Müssen sie dann vielleicht nicht bloss das Gemeinsame dieser Bewegungsfelder erkennen, sondern auch die Unterschiede, nicht bloss die Bewegung von Katzen mit Mäusen vergleichen und beschreiben, sondern auch die von Blitzen mit Gewehrkugeln und diese mit denen von Langläufern und Skifahrern? Man sieht schon an diesen Fragen, und sie liessen sich beliebig erweitern, wie viele Voraussetzungen erforderlich sind, allein um sie zu stellen und damit das mit der Mindestanforderung Gemeinte wirklich zu verstehen. Was die Schülerinnen und Schüler am Ende des zweiten Zyklus, das heisst am Ende des sechsten Schuljahres, mindestens gelernt haben müssen, bleibt im Lehrplan zumindest thematisch ziemlich unbestimmt. Zu einer Verständigung innerhalb von Fachleuten mag das ja genügen, aber gewiss nicht zu einer Verständigung zwischen Schule und Elternhaus oder auch zwischen Schule und Berufswelt.

Kompetenzformulierungen und ihre differenzierenden Präzisierungen sind keine pädagogisch praktischen oder didaktischen Erfordernisse oder gar Hilfen, sie sind dem Willen zur Vergleichbarkeit der Leistungsanforderung zur Überprüfbarkeit und Messbarkeit der Leistungsergebnisse geschuldet. Deshalb werden sie von interessierter Seite begrüsst. Die Zustimmung, welche die Kompetenzorientierung vielfach auch von Lehrerseite findet, wird gewiss deutlich schwinden, wenn diese Zweckbestimmung dann in externen Leistungsmessungen und Leistungsvergleichen umgesetzt werden wird, wie das in den andern Ländern zu beobachten ist.

Zur schulpolitischen Verständigung taugt ein solcher Lehrplan nicht. Er ist zu differenziert und zugleich zu unklar. Er ist ein schöner Beleg dafür, dass das was hier in einer Textsorte Lehrplan noch verbunden wurde, in Zukunft in zwei Dokumente aufzuteilen sein wird, einen schulpolitischen Bildungs- oder Lehrplan und einen professionsbestimmten Unterrichtsplan.

Aarau, 25.11.2013  Rudolf Künzli

Postscriptum:
„Sir Michael Atiyah ist einer der bedeutensten Mathematiker der Gegenwart“ so die NZZ am Sonntag vom 1.12. 2013 und zitiert ihn dann mit den Worten: „Manchmal müsse man die Präzsion senken, wenn dadurch ein Sacherverhalt besser erklärt werden könne, sagt Atiyah“.
Genauigkeit sei das `Hindernis Nummer 1 der Erkenntnis´, so las ich es kürzlich. Karl Schmid, der schweizer Germanist und Philologe soll es gesagt haben mit Blick auf die Akribie der philologischen Texteditionen. (Schweizer Monat Sonderthema 11. Juli 2013, S. 4)
RK

Konsultationsanwort zum Lehrplan 21 des LCH

Posted on | November 25, 2013 | Kommentare deaktiviert für Konsultationsanwort zum Lehrplan 21 des LCH

20.11.2013 Konsultationsantwort des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer LCH (PDF)
20.11.2013 Medienmitteilung des Dachverbandes der Lehrerinnen und Lehrer LCH (PDF)

Kompetenzen in Lehrplänen

Posted on | November 25, 2013 | Kommentare deaktiviert für Kompetenzen in Lehrplänen

21.11.2013 Vortrag Kantonalkonferenz Aarau: R. Künzli: Kompetenzen in Lehrplänen – eine hoffnungsfrohe Systemreform.Kompetenzen in Lehrplänen – eine hoffnungsfrohe Systemreform Vortrag AarauKompetenzen in Lehrplänen – eine hoffnungsfrohe Systemreform Folien

Lehrplan 21 und die Bildungsverfassung von 2006

Posted on | Oktober 25, 2013 | Kommentare deaktiviert für Lehrplan 21 und die Bildungsverfassung von 2006

8.10.2013 Avenir Suisse: Der zentrale Lehrplan für die Schweiz. Der Lehrplan 21 – Kind der Bildungsverfassung 2006 (1)

Geborgte Bedeutsamkeit

Posted on | September 15, 2013 | 2 Comments

Das Wort ‚Kompetenz‘ hat zurzeit einen guten Klang in unserer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft. Alle möglichen Dienstleistungen werden neuerdings in sogenannten Kompetenzzentren angeboten. Da möchten Schulpolitik, Bildungsadministration und -forschung nicht hintanstehen. Indessen, was wir im gelebten Leben und im Beruf Kompetenzen und kompetent nennen, ist qualitativ von anderer Art, als das was in Schule und Lehrplänen neuerdings Kompetenzen genannt wird. Kompetenz sprechen wir dort jemandem zu, der nicht nur etwas kann und etwas von der Sache versteht, sondern jemandem, der dieses sein Wissen und Können in vielfältigen Situationen unter Beweis gestellt hat. Zu Kompetenz in diesem Sinne gehört zwingend Erfahrung, Erfahrung in der Beurteilung einer Anwendungssituation, in der Anwendung und Ausübung des Wissens und Könnens auch in ganz unerwarteten und unerwartbaren Situationen. Solche Erfahrung kann man in der Schule kaum machen. Das ist, wie wir sehen werden, auch nicht ihre Aufgabe. Das für jede Kompetenz erforderliche Wissen und Können schon Kompetenz zu nennen, ist zumindest voreilig. Schulisch erwerbbares Wissen und Können borgt sich so nur eine Bedeutsamkeit, die seinem späteren Nutzen vielleicht zukommt, ihm aber eigentlich noch gar nicht zusteht. Schulisches Wissen und Können ist im Hinblick auf nützliche Kompetenzen immer erst propädeutisch.

Wie grossmäulig die Bezeichnung Kompetenzen für das, was da z.B. im Lehrplan 21 als Lernziele des Könnens und Wissens aufgelistet wird, ist, kann man auch leicht daran erkennen, dass wir von namhaften Vertretern dieses Lehrplanes nun gesagt bekommen, dass sich mit diesem kompetenzorientierten Lehrplan so viel eigentlich gar nicht ändere – ausser eben die Bezeichnung Kompetenzen, möchte man da hinzufügen.

Nun, das ist auch wieder nicht ganz wahr. Was im Lehrplan 21 als Kompetenzen auf- und ausgegeben wird, sind grossenteils durchaus sinnvolle Grobziele des schulischen Lernens. Sie fassen zusammen, was durch eine ganze Anzahl einzelner nötiger Lernschritte an Können erworben werden soll und geben diesen eine orientierende Richtung. Welches Wissen für dieses Können nötig ist, bleibt bei diesen Lernzielvorgaben zumeist offen und unbestimmt. Das hat durchaus Vorteile. Kein Lehrer, keine Lehrerin kann dann auf den Gedanken kommen, ihre Schülerinnen und Schüler hätten diese Ziele erreicht, wenn sie ein paar Wissensfragen richtig beantworten können, oder er oder sie hätte seine Lehr- aufgabe erfüllt, wenn ihnen ein paar richtige Antworten auf ein paar richtige Fragen eingetrichtert worden sind. Angesichts der allgemeinden Begeisterung über solche ‚Vorzüge‘ des neuen Lehrplans 21 fragt man sich freilich schon, wo es denn noch solche Lehrer und Lehrerinnen an unseren Schulen gibt, die ihre Schüler und Schülerinnen die Nebenflüsse zur Donau,  die Länge der Alpenpässe, die Schlachten der Eidgenossen oder die Bezeichnung und Abfolge der Epochen der Erdgeschichte von Paleozän, Pleistozän bis zum Holozän, von Kreide, Jura etc. oder die Namen der Bundesräte memorieren lassen.  Wer will sich denn noch solch trägen Wissens über höchst prekäre Epochen bezichtigen lassen. Das muss oder darf  nun die Lehrerin, der Lehrer selber entscheiden, oder zur Not auch die Schülerin oder der Schüler, was dem angestrebten Können an Wissen dienlich und nützlich ist.

Von geradezu übermütigem Planbarkeitsoptimismus und ebensolcher Begeisterung der Lehrplankonstrukteure zeugt dann, wie die erwünschten Kompetenzen über eine Stufen- leiter einzelner Lernschritte gleichsam im Takt sich aufbauend vorgestellt werden, wie sie ein Netzwerk knüpfen aus Teil- und Subkompetenzen, an dessen Gängelband ein sicherer Aufstieg zu immer höheren Graden der Könnerschaft sich fast wie von selbst einstellt. Nicht, dass solche Vorstellungen vom Aufbau und der Abfolge von Lernschritten nicht zu den Grundgedanken und elementaren Aufgaben der Lehrplanung gehörten und immer schon gehört haben, vom Einfachen zum Komplexen, vom Nahen zum Fernen, von der Sequenzierung des Lernstoffes oder dem Spiralcurriculum, aber die hier ausgelegten Kompetenzstufenmodelle übertreffen solche altmodischen Strukturen an Differenziertheit und Präzision bei Weitem. Ob sie diese auch in ihren Grundlagen und Grundannahmen übertreffen, ist eher fraglich. Der Kulturstufenlehrplan der Herbartianer mit seiner Grundannahme eines Parallelismus von Ontogenese und Phylogenese war wissen- schaftlich kaum weniger gesichert als das lernpsychologische Konzept der Kompetenzen mit seinen Stufenleitern. Es ist eine von wissenschaftlichen Zukunftsaussichten geborgte Gewissheit, auf die es glaubt setzen zu können und zu dürfen.

Nun könnte man es zwar bei dieser etwas grosssprecherischen und übertreibenden Bezeichnung schulischen Wissens und Könnens und dem leicht hybriden Planungs- optimismus seiner Kompetenzmodelle bewenden lassen, klingeln gehört schliesslich auch hier zum Geschäft, wenn es  nicht gerade verdeckte, welche Kompetenz denn Schule wirklich zu vermitteln die Aufgabe und die Möglichkeit hat: Lernkompetenz nämlich.

Erfahrung machen und damit auch wirklich Kompetenzen erwerben kann man in der Schule nämlich beim Lernen. Lernerfahrungen beim Üben von Fertigkeiten, beim Erwerb von Wissen und Können, beim Bewältigen von Problemen, das sind Erfahrungen, die man in der Schule machen kann, und nicht bloss beiläufig. Es sind die Erfahrungen, die hier gemacht werden sollen. Wenn in der Volksschule in irgendeinem Bereich sinnvoller Weise von Kompetenzen und Kompetenzerwerb die Rede sein kann, dann beim Lernen. Solche Kultivierung der Lernfähigkeit der Menschen ist der primäre Zweck der Institution Schule. Im ‚Haus des Lernens‘, wie es auch schon genannt wurde, geht es zuerst und zuletzt um nichts anderes als um den Erwerb von Lernkompetenzen. Freilich kann man das Lernen nur beim Lernen von Etwas,  von konkreten Kenntnissen und  Fertigkeiten erwerben, nicht ganz formal an und für sich. Dass man beim Lernen des Lernens auch noch konkrete Kenntnisse und nützliche Fertigkeiten und Fähigkeit erwirbt, ist ein Umstand, den wir uns gerne zu Nutzen machen wollen. Nur sollte er nicht die Prioritäten verdrehen. Der kompetenzorientierte Lehrplan 21 aber verleitet genau dazu, er verleitet dazu, den Erwerb von bereichsspezifischen, durchaus nützlichen und aktuell erforder- lichen Kenntnissen und Fertigkeiten für den Zweck der Schule zu halten und zu erklären. ‚An Kompetenzen führt kein Weg vorbei‘ (An Kompetenzen führt kein Weg vorbei), wie Urs Moser in der NZZ dekretierte, er hätte Recht, wenn er damit die Lernkompetenzen meinte, weil er das aber offenkundig nicht so meint, hat Hermann Forneck Recht, wenn er zum Lehrplan 21 feststellt, ‚nicht auf das 21. Jahrhundert ausgerichtet‘. (Nicht auf das 21. Jahrhundert ausgerichtet). Freilich scheint auch er zu meinen, dass die Qualität eines Lehrplanes von der ‚Modernität und Aktualität‘ der Lernbereiche abhänge, welche er vorgibt.

Zu kurz gesprungen, kann ich da nur sagen. Die Qualität eines Lehrplanes hängt nicht von der Aktualität und Modernität seiner Lernbereiche ab, fast möchte ich sagen im Gegenteil, sie hängt davon ab, wie sehr seine Ziele und Vorgaben den Zweck der Schule befördern, die Kultivierung der Lernfähigkeit.

Aarau, Mitte September 2013
Rudolf Künzli

Bildung ohne Wissen

Posted on | August 25, 2013 | Kommentare deaktiviert für Bildung ohne Wissen

23.8.2013 Bilanz: Bildung ohne Wissen (Mathias Binswanger)

Ordnung – das curriculare Prinzip der Verlässlichkeit

Posted on | August 20, 2013 | Kommentare deaktiviert für Ordnung – das curriculare Prinzip der Verlässlichkeit

Klare fachliche und methodische Strukturen sind vielleicht das wichtigste Qualitäts-kriterium eines Lehrplanes. Sie sichern die Anschlussfähigkeit des Lernens und die räumliche, aber auch die geistige Mobilität der Schülerinnen und Schüler. Ein Lehrplan unter dem Signum einer Harmonisierung des Schulsystems soll ja nicht bloss den möglichen Umzug der Eltern mit Kindern erleichtern, er sollte vor allem dem Weiter-lernen und der geistigen Mobilität der Schülerinnen und Schüler eine sichere Grundlage geben. Ihr wesentliches Element ist eine intersubjektiv tragfähige Ordnung der Welt-erfahrung, des Wissens und Könnens, wie fachlich begrenzend eine solche auch immer sein mag.  Man nannte intersubjektiv bewährte Wissens- und Könnensordnungen mal ‚Disziplinen‘, dass dieser Grundbegriff europäischer Schulkultur im Lehrplan 21 nicht vorkommt, ist zumindest bemerkenswert. Einer der wohl schärfsten Analytiker und Kritiker herrschender Wissensstrukturen, der französische Philosoph Michel Foucault, hat nicht nur deren Macht- und Herrschaftscharakter, den der Soziologe Pierre Bourdieu eine ‚violence symbolique‘ nannte, er hat auch die kulturelle Produktivität solcher das Handeln und Denken begrenzender und einschränkender Ordnungen des gesellschaftlichen Diskurses betont. Und für Friedrich Herbart gehörte eine wohl strukturierte Darstellung der Welt gar zum ‚Hauptgeschäft der Pädagogik‘. Er nannte es eine ‚ästhetische Darstellung der Welt‘ und meinte damit eine Darstellung, die etwas sichtbar macht, die zeigt, was sich nicht von selber zeigt, eine die verstehbaren Strukturen freilegende Darstellung. Allein in einem solchen Rahmen ist ein individueller Kompetenzaufbau intersubjektiv und das heisst kulturell weiterführend.

Fachbereiche oder Schulfächer sind so etwas wie ‚Schubladen‘, die wir unseren Kindern anbieten, ihre Welterfahrungen zu verorten. Man kann auch sagen, sie sind so etwas wie ‚Brillen‘, die ihnen in der Schule aufgesetzt werden, durch die sie fortan die Welt betrachten oder mit Goethes Faust zu reden die ‚spanischen Stiefel‘, in die ihre Einbildungskraft eingeschnürt wird. Man hat deshalb zu Recht davon gesprochen, dass in ihnen eine „Ordnung der Vorstellungswelt“ vorgegeben wird und in ihnen einen eigentlichen „Denk- und Handlungsrahmen“ erkannt. Dass ein solch wohlgeordneter Blick auf die Wirklichkeit diese eben nicht abbildet, sondern eingrenzt,  ja sie beschönigt und ihr nicht gerecht wird, ist dann auch im günstigen Falle der Grund für jene bildenden Krisen, in denen wir erkennen und erfahren, dass die Welt nicht so ist, wie wir glaubten, dass wir kulturelle Wahrnehmungsbrillen tragen.

Indessen, die wohlgeordnete Struktur der Fächergliederung ist nichts Geringeres als der curriculare Ausdruck erzieherisch pädagogischer Verlässlichkeit, eine Grundbedingung gedeihlichen Aufwachsens. Sie ist ein Gebot ‚curricularer Voraussicht‘, wie es der Kieler Pädagogik Professor Werner Loch genannt hat, als Gewährleistung der Anschluss- und Zukunftsfähigkeit des Lernens.

Wie steht es nun um das Prinzip der Verlässlichkeit im Lehrplan 21? Auf vier Aspekte der  Gliederung der Grundbildung im Lehrplan will eingehen: auf den Fachbereich ‚Natur-Mensch-Gesellschaft, den  Fachbereich ‚Gestalten, den Fachbereich ‚ICT und Medien und schliesslich auf die überfachlichen Themen, die unter der Leitidee ‚Nachhaltige Entwicklung zusammengefasst sind.

‚Natur,  Mensch und Gesellschaft‘ – ein wenig überzeugendes Konstrukt

Zu den eher fragwürdigen Schultraditionen, welche der Lehrplan21 aus einigen kantonalen Lehrplänen übernommen hat, gehört der Fachbereich ‚Natur, Mensch und Gesellschaft‘.

„Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der Welt in ihren natürlichen, technischen, historischen, kulturellen, sozialen, ökonomischen und geistigen Dimensionen mit ihren je eigenen Phänomenen und Prozessen auseinander. Sie erweitern ihre Kenntnisse und Fertigkeiten, die es ihnen ermöglichen, sich in der Welt zu orientieren, diese immer besser zu verstehen, sie aktiv mitzugestalten und in ihr verantwortungsvoll zu handeln.“ (Einleitung S. 2) 

Mit dieser ganz wunderbar umarmenden, bedeutungsschweren und schmiegsamen Lehrplanrhetorik werden der Fachbereich und seine besonderen Aufgaben vorgestellt. Aber, setzen sich denn die Schülerinnen und Schüler in den andern Fachbereichen nicht auch mit der Welt auseinander, in den ‚Sprachen‘, der ‚Mathematik‘, der ‚Musik‘, dem ‚Gestalten‘ oder dem ‚Sport‘? Geht es da nicht auch um Weltverstehen, um Orientierung, um aktives Mitgestalten und Verantwortung? Sind diese Fachbereiche weniger welthaltig?

Als Fachbereich fällt ‚Natur, Mensch, Gesellschaft‘ aus dem Rahmen der andern fünf Fachbereiche der Grundbildung. Er ist aus einem Zusammenzug verschiedener Fächer entstanden und könnte ebenso gut in der Gruppe der fächerübergreifenden Themen stehen. In den ersten beiden Lernzyklen werden die Themen beschrieben und sollen die hier anvisierten Kompetenzen integral aufgebaut werden, im dritten Zyklus (Oberstufe) werden sie in vier Teilbereiche (1) Natur und Technik, (2) Wirtschaft, Arbeit, Haushalt, (3) Räume, Zeiten, Gesellschaften und (4) Ethik, Religionen, Gemeinschaft ausdifferenziert.

Diese Zweistufigkeit im Aufbau hat den Vorteil, dass in den ersten beiden Lernzyklen die Lebenswelt der Kinder und deren Erfahrungen noch ganzheitlich thematisiert und bearbeitet werden können. Ein solcher Ausgangspunkt des Lernens von der Erfahrung der Kinder ist nicht bloss pädagogisch-didaktisch plausibel, sondern auch sachlich geboten. Der Aufbau entspricht alten  schulischen Traditionen. Dass die Kinder bei ihren Erfahrungen und ihrem Vorwissen abzuholen sind, ist unbestritten. Ob dieses lehrmethodische und lernpsychologische Gebot allerdings auch die curricularen Strukturen bestimmen soll, ist dagegen fraglich. Während der US-amerikanisch Progressivism und die deutsche Reformpädagogik  auf solche ‚child oriented‘ Curricula und Lehrpläne setzte, haben sich die traditionellen und die struktur- und wissenschaftsorientierten Schulen in ihren ‚subject oriented‘ Curricula und Lehrplänen an der gesellschaftlich anerkannten Wissensordnung orientiert.

Es ist bemerkenswert, dass einer der Gründerväter des ‚educational progressivism‘, der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey,  in seiner berühmten Studie ‚The child and the curriculum‘ eine curriculare Orientierung an den wissenschaftlichen Disziplinen mit der Notwendigkeit begründet, dass die Lehrerinnen und Lehrer sie benötigten, nicht um diese Wissenschaften den Kindern zu vermitteln, sondern um deren Fragen, Forschen und  Interessen angemessen deuten und  so unterstützen und lenken zu können, dass es einen Anschluss und eine Fortsetzung finde bei den akkumulierten Wissens- und Erfahrungsbeständen der Gesellschaft. Problematisch an einem ‚child oriented‘ Lehrplan ist so nicht etwa die Erfahrungsnähe und der ganzheitliche Ausgangspunkt des Lehrens, sondern eine fehlende Perspektive hin auf die gesellschaftlich etablierten Wissensordnungen und damit verbunden auf die gesellschaftlich approbierten Massstäbe und Normen der intersubjektiven Geltung und Wahrheit von Wissen und Erfahrung.  Gerade für einen langfristigen Kompetenzaufbau ist eine auch curriculare  Präsenz solcher Normen als  ‚ends in view‘ nötig.

Eine solche weiterführende curriculare Anschlussfähigkeit wäre mit der Aufteilung des gesamten Fachbereichs ‚Natur – Mensch – Gesellschaft‘ in zwei Bereiche, die im Angelsächsischen als ‚Humanities‘ und ‚Sciences‘ bezeichnet werden, zu erreichen.  Mit ‚Menschen in Raum und Zeit‘ und ‚Natur und Technik‘ z.B. hätten sich äquivalente Fachbereichsstrukturen bilden lassen, die dem Lernen und dem Kompetenzaufbau eine schlüssige Perspektive geben könnten. Zusätzlich entspräche eine solche Aufteilung auch dem Art. 3 des HarmoS-Konkordates. Bei den gegenwärtig grossen Anstrengungen den naturkundlichen und technischen Bereich der MINT-Fächer in der Schule zu verstärken, verwundert es, dass ‚Natur und Technik‘ in den ersten beiden Lernzyklen keinen eigenen curricularen Platz gefunden hat. Dabei wird doch zu Recht immer wieder betont, dass eine möglichst frühe Förderung hier besonders wirkungsvoll sei. In einem eigenständigen Bereich ‚Natur und Technik‘ ab dem ersten Lernzyklus wäre diesem Anliegen sicherlich besser gedient.

Die Ausdifferenzierung des Bereiches auf der Oberstufe macht einen auf Anhieb übersichtlichen und plausiblen Eindruck.  Bemerkenswert ist, dass auch ein neuer Bereich ‚Wirtschaft, Arbeit, Haushalt‘ eingeführt wird. Mit der Klammerbemerkung ‚(mit Hauswirtschaft)‘ wird an schulische Traditionen angeknüpft. In diesen Bereich gehörte sachlich eigentlich auch die Berufswahlvorbereitung. Aber auch ohne diesen Themenbereich stellt sich die Frage nach der angemessenen Ausbildung der Lehrerschaft, falls man ihn nicht auf verschiedene Lehrpersonen aufteilen will, was de facto in der Umsetzung dann doch wieder einer Aufteilung des Bereichs in zwei bis drei einzelne Schulfächer gleichkäme.

Gestalten

Wir fragil und uneinheitlich der Lehrplan 21 in dieser Frage ist, zeigt auch das Beispiel Gestalten. In  der Einleitung wird von einem Fachbereich Gestalten gesprochen, in dem die Kinder „ästhetische, bildnerische, gestalterische und technische Kompetenzen“ (S. 3) erwerben. Im Aufbau des Lehrplan 21 sind hingegen  über alle drei Lernzyklen hinweg zwei getrennte Fächer aufgeführt: ‚Bildnerisches Gestalten‘ und ‚Textiles und technisches Gestalten‘ (in Überblick und Anleitung S. 3). Der Lehrplan bleibt auch hier auf halbem Wege stehen, während er mutig textiles und technisches Gestalten zusammenführt, bleibt das bildnerische Gestalten in seiner angestammten Eigenständigkeit erhalten. Ob die curriculare Integration von textilem und technischem Gestalten Lehrplanrhetorik bleibt, wird von der integralen Ausbildung der Lehrpersonen und vom Aufbau einer entsprechenden Fachdidaktik abhängen.

ICT und Medien

Auch die Zuweisung des Themenbereichs ‚ICT und Medien‘ zu den fächerübergreifenden Themen ist zumindest fraglich. Natürlich ist es richtig, dass ICT und Medien auch für das Lernen in anderen Bereichen eine zunehmend bedeutsame Rolle spielen und so auch in verschiedenen Bereichen vermittelt werden können. Aber gilt das nicht auch für Sprachen? Ist das nicht gerade ein Indikator dafür, auch ‚ICT und Medien‘ zur schulischen Grundbildung zu rechnen und damit den andern sechs Fachbereichen gleichzustellen?  Was meint denn der Ausdruck ‚Grundbildung‘ anderes, als dass damit die Grundlagen für das Weiterlernen und den Erwerb weiterer Kompetenzen gelegt werden? Es geht bei ICT und Medien eben nicht um ein besonders aktuell sich aufdrängendes Lernthema, das wohl auch, aber das ist nicht der entscheidende Grund, den Bereich im Curriculum der Grundschule zu verankern, aktuelle Themen gibt es noch viele andere. Entscheidend ist, ob es sich bei den darin zu erwerbenden Kompetenzen um Elemente einer Grundvoraussetzung der Teilhabe an unserer Kultur und deren Weiterentwicklung handelt. Und dies ist hier zweifellos der Fall.

Das ist auch der Unterschied zu Themenbereichen wie z.B. ‚Berufsorientierung‘ oder ‚Gender‘, ‚Frieden‘ und ‚Wirtschaft‘. Es sind dies zweifellos bedeutsame Lern- und Erfahrungsfelder. Es sind aber eben Bewährungsfelder schulischer Grundbildung und nicht selber Teil dieser Grundbildung. Das macht einen entscheidenden Unterschied aus. Bei ICT und Medien handelt es sich um nichts Geringeres als die technologische Weiterentwicklung der Sprach- und Interaktionsfähigkeit des Menschen, sein eigentliches kulturelles Potential und Handwerkszeug. Sie sind zwingend ein Element schulischer Grundbildung. Erkenntnismethodisch und wissenstheoretisch wären sie als Teil des Fachbereichs ‚Sprachen‘  im curricularen Kanon einzuordnen, schulorganisatorisch nötig ist aber ihre Ausstattung mit Zeit und Ressourcen analog zu den andern Fachbereichen der Grundbildung.
Nachtrqg: 30.08
Die unsichere und ungeklärte curriculare Verortung des Fachbereichs ICT und Medien im Lehrplan 21 hat die Projektleitung nach rund sieben Jahren Entwicklungszeit veranlasst, eine Arbeitsgruppe zur Bearbeitung der offenen Fragen, ‚über welche man sich noch nicht habe einigen können‘, wie sich der Projektvorsitzende RR Amsler ausdrückte, einzusetzen. Aber bereits 2007 hatte die EDK ein Strategiepapier für den Bereich Informationstechnologie und Medien vorgestellt. Es scheint, dass dessen Konzepte nicht zur Klärung der anstehenden Fragen führten. Das Beispiel vermag das Vertrauen in die Planungsgrundlagen und die Verlässlichkeit des neuen Lehrplandokumentes nicht gerade zu fördern.

Bildung für Nachhaltige Entwicklung

Ganz anderer Art sind die unter der Leitidee Nachhaltige Entwicklung versammelten Themen. Ihr Zusammenzug ist auch gar nicht als Fachbereich ausgewiesen, weder mit eigenständigen Kompetenzen, noch erkennbar mit Ressourcen. Wie das ‚epochale Schlüsselproblem‘ (Wolfgang Klafki)  Nachhaltigen Entwicklung auch als erwerbbare ‚Schlüsselkompetenz‘ in die schulische Grundbildung pädagogisch – didaktisch eingebaut werden kann und soll, darüber ist dem kompetenzorientierten Lehrplan 21 kaum etwas zu entnehmen.

Problematisch ist eine derartige curriculare Unbestimmtheit solcher Themen ohne Ressourcen und Zielvorgaben auch deshalb, weil sie ein immer verfügbares und wohlfeiles Drohpotential darstellen, der Schule mal hier, mal da Versagen vorzuwerfen. Sie sind schlicht uferlos und damit gewiss kein Beitrag zur angestrebten Klarheit des Auftrags der Schule und der Lehrerschaft. Denn in der Schule, wie anderswo auch,  gilt die Vordringlichkeit des Bewerteten (Benoteten, Getesteten) oder Befristeten. Kurz, sie fallen in aller Regel unter den Tisch oder hier unter das Pult der Lehrenden und Lernenden, wenn immer anderes, Wichtigeres ansteht, und das ist praktisch immer der Fall.

Aarau, 20.  August 2013 Rudolf Künzli

Statt Schulfächer gibt es nun Fachbereiche

Posted on | August 14, 2013 | Kommentare deaktiviert für Statt Schulfächer gibt es nun Fachbereiche

Die Fachbereiche sind gesellschaftlich bestimmt. Mit dieser prägnanten Aussage begründet oder besser rechtfertigt der Lehrplan 21 die fachliche Gliederung seiner  Kompetenzanforderungen an die Schülerinnen und Schüler:

„Im Lehrplan 21 ist die schulische Grundbildung in sechs Fachbereiche gegliedert. Diese sind gesellschaftlich bestimmt und orientieren sich an kulturellen und schulischen Traditionen und Normen.“  (Einleitung S. 2)

Nun könnte man sich damit zufrieden geben, es ist ja nicht falsch, was hier geschrieben steht. Aber ich will hier genauer prüfen, was es damit auf sich hat.

Dem Lehrplanforscher fällt nicht die Aussage für sich auf, wohl aber die Dürftigkeit dieser Begründung  und dass es mit dem Thema damit sein Bewenden haben soll.  Nachfragen sollen sich offenbar erübrigen. Indessen, sowohl theoretisch wie schulpolitisch gibt es in der Lehrplangeschichte kaum ein Thema, das zu mehr Diskussionen und Auseinandersetzungen Anlass gegeben hätte als die Gliederung der Lernfelder.  Kurz, die Gliederung der schulischen Grundbildung in die sechs Fachbereiche ‚Sprachen‘, ‚Mathematik‘, ‚Natur, Mensch, Gesellschaft‘, ‚Gestalten‘, ‚Musik‘, ‚Bewegung und Sport‘ ist alles andere als selbstverständlich.

Die gewählte Gliederung ist inkohärent und widersprüchlich

Wie zum Beleg dafür folgen denn auch im Lehrplan 21 einige weitere Bereiche ‚Berufliche Orientierung‘, ICT und Medien‘, und ‚Nachhaltige Entwicklung‘, welche aber nicht als Fachbereiche, sondern bloss als ‚fachübergreifende Themen‘ eingestuft sind. Warum eigentlich, so muss man sich fragen, ist etwa ‚ICT und Medien‘  kein Fachbereich, sondern bloss ein ‚fachübergreifendes Thema‘? Und warum ist ‚Natur, Mensch und Gesellschaft‘ ein Fachbereich, wo es sich doch um eine fächerübergreifende  Zusammenfassung ganz unterschiedlicher Themen handelt, ja ganzer ehemals als Schulfächer eingestufter Fächer, wie z.B. Geschichte, Geografie, Menschen- und Naturkunde?  Was, so fragt man sich, unterscheidet diese Zusammenfassung strukturell von der Zusammenfassung ‚fächerübergreifender  Themen unter der Leitidee Nachhaltige Entwicklung‘, in der ebenfalls ganze Fachbereiche wie ‚Politik‘, ‚Natürliche Umwelt und Ressourcen‘ (Ökologie?) oder ‚Wirtschaft und Konsum‘ untergebracht werden? Unter dieser Rubrik sind all die aktuellen und trendigen Themen des Bildungsdiskurses zusammengefasst. Hier macht sich dann besonders nachteilig bemerkbar, dass der Lehrplan 21 keine Angaben macht zu den Zeitressourcen. Wie soll man so diesen thematisch umgreifenden Erziehungsauftrag verstehen? Handelt es sich hier bloss um Lehrplanlyrik? Wenn nicht, wie soll damit der gesellschaftliche Auftrag an die Schule vor den täglich wachsenden Ansprüchen begrenzt werden, ein erklärtes Ziel des Lehrplans 21?  Dass es sich eher um einen Erziehungsauftrag als einen Bildungsauftrag handelt, damit hängt wohl auch zusammen, dass – anders  als im Bereich ‚Berufliche Orientierung‘ und im Bereich ‚ICT und Medien‘ – keine spezifischen Kompetenzziele ausgewiesen werden.  Die Umsetzung dieser curricularen Vorgabe wird hier über ‚didaktische Prinzipien‘ empfohlen. Dabei gäbe es auch für diese Themen hinreichend Substanz, um dafür Kompetenzziele auszuweisen. Schliesslich sind auch sie an fast jeder Universität mit Fachlehrstühlen vertreten, wenn einige auch erst neuerdings. Und warum gelten die Prinzipien ‚Zukunftsorientierung‘, ‚Vernetztes Denken‘, ‚Partizipationsorientierung‘  offenbar nur für diese Themen? Was ist, so kann man sich fragen, an Themen wie ‚Gender‘, Gesundheit‘ oder ‚Politik‘ fächerübergreifender als an ‚Sprachen‘ zum Beispiel? Oder ist das Potential von  ,Musik’ oder das von ‚Gestalten‘, verschiedene Lebensbereiche zu vernetzen, etwa geringer zu veranschlagen als, sagen wir  das von ‚Wirtschaft‘?

Was diese und beliebig erweiterbare Fragen deutlich machen sollen, ist die Fragwürdigkeit dieser Fachbereichsgliederung. Zwar gilt das nicht nur für die des Lehrplanes 21, auch manche älteren und neueren Gliederungen sind es nicht minder. Aber man wüsste doch gerne, was sich die Lehrplanautoren und –autorinnen bei und zu dieser Lehrplanstruktur  gedacht haben, was diese für sie pädagogisch und didaktisch bedeutet. Auch auf welchen ‚Normen‘ und welche Art Normen denn die Fachbereiche gegründet sind. Und, na ja, der Verweis auf schulische Traditionen ist sicher nicht falsch,  allein mag er aber kaum zu befriedigen. Interessant ist der Hinweis, dass die Fachbereiche „gesellschaftlich gegeben sind“. Was meint dieser Hinweis genauer? Man könnte spontan vermuten, damit sei die Gliederung der Grundbildung benannt, wie sie das HarmoS – Konkordat in Art. 3 Abs. 2 vorgibt. Aber von den wissenssoziologisch, bildungshistorisch und erkenntnistheoretisch gut begründeten und begründbaren fünf Bereichen, die dort als Elemente der schulischen Grundbildung genannt werden[1],  weicht der Lehrplan 21 deutlich ab. Warum und mit welchen Gründen?  Sollte das nicht wissen, wer dieser Grundstruktur der schulischen Lehrordnung mit Vernunft und Einsicht zustimmen oder später im Unterricht vertreten soll? Wissen es die Lehrplanautoren und –autorinnen selber? Ich erlaube mir hier leise Zweifel daran. Wissen sie, dass diese Lehrordnung der Fachbereiche nicht unwesentlich von der des PER abweicht, des sprachregionalen Lehrplans der Romandie? Was bedeutet es ihnen, dass sie auch von der  Deutschlands und Österreichs abweicht, zwei Länder, die immerhin zur selben Sprach- und Kulturregion wie die deutschsprachige Schweiz gehören? Sind diese Abweichungen selbstbewusst und begründet in Kauf genommen oder haben sie sich einfach so ergeben?  Sind sich die Lehrplanverantwortlichen der Tragweite dieser Setzungen bewusst?

Zwischen Sammlungscode und Integrationscode

An der unterschiedlichen Behandlung der fächerübergreifenden Themen und den Inkohärenzen bei der Bestimmung der Fachbereiche zeigt sich eine elementare curriculare Unsicherheit und Unentschiedenheit im Lehrplan 21. In den beiden Lehrplanteilen ‚Überblick und Anleitung‘ (10 Seiten) und ‚Einleitung‘ (15 Seiten) kommen die Wörter fächerübergreifend und überfachlich insgesamt 52mal vor,  die Wörter fachlich und innerfachlich und verwandte ebenfalls 52mal. Man darf, ja man muss dies wohl als Botschaft interpretieren, als einen gesetzten Willen zu dem, was der englische Sprachsoziologe und Curriculumforscher Basil Bernstein den Integrationscode genannt hat. Er funktioniert nach dem Muster der allseitigen Vernetzung und Verknüpfung. Ihm steht der Sammlungscode gegenüber, der umgekehrt nach dem Muster der  Abgrenzung und Unterscheidung funktioniert. Im Curriculum zeigen sich die beiden Formen in der Abgrenzung der Fächer und Fachbereiche gegeneinander bzw. ihrer fächerverbindenden und übergreifenden Gruppierung, ihrer ‚Klassifikation‘,  und sie zeigen sich in den Spielräumen, die Lehrerinnen und Lehrer bei der Umsetzung haben, in der ‚Rahmung‘ von Lernen und Unterricht. Der Fachbereich ‚Natur Mensch Gesellschaft‘ ist ein Beispiel für eine eher integrative, also fächerverbindende und ‚schwache Klassifikation‘, der Lernbereich der fächerübergreifenden Themen unter der Leitidee Nachhaltige Entwicklung formuliert in seinen didaktischen Prinzipien zusätzlich eine eher ‚offene Rahmung‘, also hohe Spielräume, die Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie Schülerinnen und Schüler in Themenwahl und Bearbeitung bei der Umsetzung haben.

Die Lehrplanstruktur des Lehrplans 21 trägt so alle Züge einer curricularen Mischform im Sinne Bernsteins. Wenn man von seiner Grundannahme ausgeht, dass sich im curricularen Code die Arbeitsteilung und die Schichtung einer Gesellschaft spiegelt, erschliesst und vorbereitend durchsetzt, so bekommt die zitierte Aussage, dass die Fachbereiche gesellschaftlich bestimmt seien, nochmals einen andern Sinn. Der Lehrplan 21 spiegelte dann in seiner curricularen Unentschiedenheit die gegenwärtige soziale, politische und organisatorische Gemengelage und hier insbesondere die zentralen Auseinandersetzungen um Fragen der Integration, der gesellschaftlichen Öffnung und der Individualisierung.  Man kann darin die gesellschaftspolitische Brisanz der Lehrplanstruktur des Lehrplans 21 erkennen.

Ein ‚Gerüst‘ schulischen Lernens und der Institution Schule

Was im Lehrplan 21 als Gliederung der Fachbereiche schulischer Grundbildung dargestellt  wird, hat man früher auch den Kanon der Schulfächer genannt. Man hat in diesem Schulfächerkanon auch das Grundgerüst  schulischen Lehrens und Lernens erkannt und in mancher Hinsicht auch der Institution Schule selber. Es ist wohl kein Zufall, dass das Wort ‚Schulfach‘ im Lehrplan 21 nicht mehr vorkommt. Nicht verwunderlich ist, dass auch ‚Kanon‘ nicht zum Vokabular des Lehrplan 21 gehört. An der organisatorisch und professionspolitisch folgenreichen Bedeutung der Gliederung ändert es allerdings nichts, ob sie als eine der Schulfächer daherkommt oder als eine der Fachbereiche. Das leuchtet ja sofort ein, wenn man an die Lehrmittel denkt, die  nun auf Fächer oder Fachbereiche ausgerichtet werden. Oder man denke an die Lehrer- und Lehrerinnenausbildung, die für eine begrenzte Zahl von Fächern oder Fachbereichen ausgebildet werden, was ihren Einsatz in den Schulen mehr oder weniger vorwegbestimmen. Auch die Schulhäuser sind räumlich in  Fach- oder Fachbereichsräume mit entsprechender Einrichtung unterteilt. Viele Schulen kennen Fachschaften als Gruppierung  der Lehrpersonen nach Fach oder Fachbereichsgruppen. Ihnen sind vielfach eigene organisatorische Kompetenzen und Verantwortungen zugewiesen. So ist die Gliederung der schulischen Grundbildung immer auch eine Gliederung der Schulstrukturen, ihres Personals und ihrer Arbeitsorganisation.  In der Gliederung  der Lernbereiche ist die Gliederung der Arbeitsteilung in der Institution Schule präformiert. Ähnliches liesse sich hier auch für die Schulverwaltungen sagen.  Es ist nicht ganz klar, welche Konsequenzen die Gliederung der Fachbereiche im Lehrplan 21 in dieser Hinsicht hat und haben wird. Man denke hier etwa an die Ausbildungsstrukturen der pädagogischen Hochschulen, den Amtsauftrag samt Fächerumfang und die Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung. Eine spannende Frage bei der Umsetzung wird auch sein, ob und inwieweit die Fachdidaktiken sich gemäss der neuen Lehrplanstruktur reorganisieren werden oder reorganisieren müssen.  Ich habe Zweifel, ob und wie weit diese Implikationen der Lehrplanstruktur schon bedacht und geklärt sind.

Auch stellen sich hier Fragen nach dem sozialen Status der einzelnen Fachbereiche und dem Status des sie betreuenden Personals.  Es ist zu vermuten, dass die Fachbereiche gegenüber den fächerübergreifenden Themen schon allein wegen ihrer subsidiären, in den Fachbereichen zu bearbeitenden Kompetenzen einen niedrigeren Status und einen geringeren Verbindlichkeitswert haben werden. Solche Einschätzungen aber sind nur als Tendenzen zu verstehen. Sie können sich in der einen oder anderen Richtung leicht verschieben, je nach ihrer Ausstattung mit Ressourcen an Zeit, Infrastruktur und Personal. Auch gilt in der Schule wie in der Arbeitswelt, dass die Folgen den Wert eines Bereichs bestimmen: die Folgen hinsichtlich Karriere, Einkommen und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Wer entscheidet, wann darüber? So drückt sich dieser Lehrplan 21 vor den erforderlichen politischen Rahmensetzungen zum gesellschaftlichen Auftrag an die Schule. Aber dazu habe ich in meinem letzten Blogbeitrag schon etwas gesagt.

Aarau, im August 2013 RK



[1] Genannt sind dort a) Sprachen, b) Mathematik und Naturwissenschaften, c) Sozial- und Geisteswissenschaften, d) Musik, Kunst und Gestaltung, e) Bewegung und Gesundheit. Lehrplanhistorisch entspricht diese Gliederung einem geradezu klassisch zu nennenden Fächerkanon. Um Missverständnisse zu vermeiden, nicht die Bezeichnungen sind damit gemeint, sondern die sachliche Gliederung.

Der Lehrplan 21: Ein Lehrplan der neuen Generation, aber auch ein zukunftsfähiges Modell zur Klärung des gesellschaftlichen Auftrags der Schule?

Posted on | Juli 9, 2013 | Kommentare deaktiviert für Der Lehrplan 21: Ein Lehrplan der neuen Generation, aber auch ein zukunftsfähiges Modell zur Klärung des gesellschaftlichen Auftrags der Schule?

Der Lehrplan 21 (LP 21) liegt in einer ersten öffentlichen Fassung vor. Er ist in Form und Gestalt ein schönes, in seinem Gehalt und seiner Differenzierung ein beeindruckendes Werk geworden: keine Frage! Und es wird Massstäbe setzen. Welche es sind, und ob es die richtigen sind, werden wir auf dieser Webseite in verschiedenen Beiträgen diskutieren.

Der LP 21 ist zwar nicht der erste regionale Lehrplan, der die föderalen Grenzen kantonaler Schulhoheit überschreitet. In der Romandie ist der interkantonale Lehrplan schon seit einigen Jahren Realität. Und auch in der Deutschschweiz haben die Kantone der IEDK seit vielen Jahren Lehrpläne gemeinsam entwickelt.  Wenn dem LP 21 trotzdem etwas Historisches eignet, dann weil sich solche Kooperation neuerdings als Schritt zur Umsetzung von HarmoS darstellen kann und nicht mehr bloss als ökonomisch gebotene Zusammenarbeit. Dass damit der kantonale Bildungsföderalismus nicht in Frage gestellt wird, ist man allenthalben politisch bemüht zu betonen. Und in der Tat, der LP 21 versteht sich denn auch nicht schon als interkantonal geltendes Dokument, das so in den Schulen der Deutschschweizer Kantone eingeführt wird. Die D-EDK belässt es, ja muss es staatsrechtlich bei einer künftigen ´Freigabe` zu Händen der kantonalen Bildungsexekutiven belassen. Was die Kantone dann damit machen, liegt in deren Kompetenz, freilich  ganz frei sind sie dabei nicht mehr, seit es den neuen Bildungsartikel mit der Koordinationspflicht in der Bundesverfassung gibt. Es gäbe aber noch genügend kantonalen Spielraum, wurde bei der Vorstellung vorletzte Woche betont (RR Hürzeler AG), aber auch dass man dann schon dafür sorgen werde, dass nicht zu viel kantonale Eigenständigkeit den Koordinationskern wieder aufhebe (RR Amsler SH). So können denn Befürworter wie Gegner eines überkantonalen schweizerischen oder mindestens sprachregionalen Lehrplanes mehr oder weniger gelassen abwarten, wie die Vorgabe in der Deutschschweiz schulpolitisch verarbeitet werden wird.

Nun, solche Ambiguitäten sind wir in der schweizerischen – und nicht nur in dieser – Schul- und Bildungspolitik ja gewohnt. Man kann auch von Lavieren, Durchwursteln und Mogeln sprechen oder je nach Ansicht und Gemütslage in ihr einen Sinn für das Machbare, den gutschweizerischen Pragmatismus oder die erprobte politische Klugheit einer Konsensdemokratie erkennen. Zwischen beiden Sichtweisen versöhnen kann vielleicht ein Vorschein von List der Politik oder gar der Vernunft.

Ich will es aber nicht bei diesem versöhnlichen Blick allein bewenden lassen, denn ganz so harmlos ist die Sache denn doch nicht. Man muss sich durchaus ernsthaft fragen, was ein zu Koordinationszwecken erstellter  Lehrplan denn tatsächlich praktisch wert ist, der so elementare schulpraktische und die Lernprozesse substantiell bestimmende Fragen ungeklärt lässt wie die Verteilung der Zeit oder die Abfolge der Fächer im schulischen Bildungsgang. Ob nun Englisch oder Französisch als erste Fremdsprache gelehrt wird, ist gewiss pädagogisch und didaktisch nicht ausschlaggebend und deshalb auch innerschulisch nicht abschliessend zu entscheiden. Es ist aber für die Schulkoordination von ausschlaggebender Bedeutung und darüber hinaus auch in staatspolitischer Hinsicht nicht belanglos. Gerade deshalb wäre es hier Aufgabe der Politik die Rahmenbedingungen des schulischen Lehrens und Lernens zu setzen. Das gleiche gilt für die Zeitverteilung im Curriculum, die Stundentafeln. Auch hier ist klar, dass Schulzeit immer knapp ist. Ebenso klar ist aber auch, dass Lernen Zeit braucht, und es deshalb unfair ist, Schülerinnen und Schülern die gleichen Lernleistungen (Kompetenzziele) abzuverlangen bei ganz ungleich zur Verfügung gestellter Lernzeit. Wenn in einem Kanton 20 bis 30 und mehr Prozent Unterrichtsstunden für einzelne Fächer vorgesehen (finanziert) werden als in einem andern, dann stellt das die Glaubwürdigkeit eines interkantonalen Lehrplanes ganz grundsätzlich in Frage. Auch Stundentafeln sind weniger bildungstheoretisch oder didaktisch zu entscheidende Fragen, es sind schulpraktische politische Rahmenbedingungen, deren Regulierung in Auftrag und Verantwortung der Politik liegt. Wenn der LP 21 zu diesen Rahmenbedingungen nichts sagt, dann kann man das bei der Brisanz solcher Fragen zwar schon verstehen, es bleibt trotzdem ein schul- und bildungspolitisches Versagen, das die Koordinationsintentionen dieses Lehrplans substantiell konterkariert. Bei allem Verständnis, ich muss es so sagen, das ist nicht mehr klug oder listig, sondern nur politisch hilflos. Es gibt weitere Beispiele für solches Versagen, versteckt etwa in den überfachlichen Kompetenzen. Wenn da Nachhaltigkeit gefordert wird oder die Informatik in einen Bereich ohne Fach und Zeit abgeschoben wird, so dient das zwar dem guten Gewissen und dem Anschein von Zukunftsfähigkeit dieses Lehrplans, bleibt aber doch Ausdruck eines politischen Sich-Wegdrückens vor der Verantwortung für das Setzen von schulischen Rahmenbedingungen.

Die Projektleitung und die politische Führung des Projektes LP 21 betonen mehrfach, dass es beim neuen Lehrplan nicht um eine Schulreform gehe, sondern um Schulkoordination. Umso unverständlicher muss es dann bleiben, wenn statt die endliche Regulierung zentraler schulpraktischer Rahmenbedingungen zu verkünden, die Regelung von allein pädagogisch professionell zu klärenden und zu bewertenden Fragen gerühmt wird wie die Kompetenzorientierung im Unterricht oder die Lern- und Kompetenzstufen. Darin zeigt sich auch eine bemerkenswerte und nicht unproblematische Verschiebung der thematischen Akzente in der curricularen Planung. Staatliche Lehrpläne sollten ja in der Tat nicht primär pädagogische und didaktische Probleme des Lehrens und Lernens lösen und regeln, sondern die Zielsetzungen und die Rahmenbedingungen dafür klären. Ersteres sollte der Profession vorbehalten bleiben.

Damit sind wir bei einem weiteren Grundgebrechen, des vorliegenden Lehrplans angelangt. Er präsentiert sich wie kaum einer zuvor als pädagogisch-didaktischer Lehrplan. Freilich werden manche dieses Gebrechen gerade als seinen besonderen Vorzug rühmen. Der LP 21 macht in manchen Bestimmungen den Eindruck, unterrichts- und lehr- und lernpraktische Probleme gleichsam stellvertretend für die Lehrerinnen und Lehrer lösen und regulieren zu können. Er überschreitet damit seine ihm strukturell gesteckten Grenzen; er leistet damit auch einer problematischen Kompetenzverschiebung Vorschub, einer Verlagerung der unterrichtspraktischen professionellen Kompetenz der Lehrerschaft (Zuständigkeit und zugeschriebene Tüchtigkeit)  von der Schule in die Schuladministration und die pädagogischen Hochschulen mit ihren fachdidaktischen Entwicklungs- und Forschungszentren. Aber Lehrpläne können allenfalls die Institution Schule ausrichten und regulieren, aber nicht den Unterricht und die Lehr- und Lernprozesse. Es ist entweder naiv oder hybrid übergriffig, diese Differenz nicht zu erkennen und anzuerkennen.

Eine gewisse unverfrorene Naivität kennzeichnet denn auch die jetzt eingeleitete Konsultation. Die D-EDK hat den Lehrplan21 zur Konsultation freigegeben. Wenn ich das richtig sehe, handelt es sich dabei nicht um eine Vernehmlassung, wie sie bei Verordnungen und Gesetzesvorhaben in der Schweiz sonst  üblich ist. Das leuchtet insofern ein, als der veröffentlichte LP 21 gar nicht direkt verordnet werden soll, sondern nach definitiver Verabschiedung durch die D-EDK lediglich als überregionale Empfehlung zur Einführung an die Kantone freigegeben werden soll. Zur Stellungnahme eingeladen sind primär die Projektkantone, die nationalen oder sprachregionalen Organisationen der Lehrerschaft, der Arbeitswelt, der Kirchen und Religionen, die betroffenen Bundesämter, Konferenzen im Bildungswesen und die politischen Parteien auf Bundesebene. Die Logik dieser Einladungen leuchtet ebenfalls ein. Nicht eingeladen sind die einzelnen Kantone der Romandie. Für sie kann die Projektleitung des Plan d´ Etudes Romand Stellung nehmen. Nicht direkt eingeladen sind Schulen, auch nicht die kantonalen Sektionen der politischen Parteien der Projektkantone. Von den Hochschulen sind die Pädagogischen Hochschulen eingeladen, nicht aber die Fachhochschulen und Universitäten. Insgesamt wird dieses Einholen von Meinungen und Stellungnahmen deshalb zu Recht als Konsultation bezeichnet, dies ganz analog zu den Konsultationsverfahren, wie sie in der EU zwischen den Nationalstaaten üblich sind.

Nun liegt es natürlich im Ermessen der eingeladenen Institutionen und Organisationen, welche weiteren Gruppierungen und Personen sie bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahme einbeziehen wollen. Offen ist auch, ob und in welcher Form die Kantone für einen nach Massgabe des LP 21 entwickelten kantonalen Lehrplan  dereinst eine weitere Konsultation (oder dann besser Vernehmlassung) durchführen werden. Während der Jahre währenden öffentlich abgeschirmten Entwicklungsphase des LP 21 wurde von den Verantwortlichen immer wieder versichert, es werde dann schon noch eine breite öffentliche Meinungsbildung durchgeführt werden. Die jetzt eingeleitete Konsultation bei Behörden und Organisationen soll das nun wohl sein.

Die Projektverantwortlichen verweisen dabei stolz auf die medien- und informationstechnischen Neuerungen, wie sie den LP 21 aufbereitet und im Internet öffentlich zugänglich gemacht hätten, als ob das heute nicht eine schlichte Selbstverständlichkeit wäre. Sie ist aber eben nicht bloss eine Erleichterung, sondern auch eine Einladung dazu, einzelne Fragen und Aspekte nach Interesse und Belieben aus dem Zusammenhang zu reissen und ohne Rücksicht auf das Ganze zu diskutieren und zu problematisieren. Denn mit Verlaub, wer soll denn, wenn er nicht gerade vom Fach ist und professionell mit Schule befasst, das ganze 557seitige Konvolut in seiner Gänze lesen, verstehen und dazu angemessen Stellung nehmen können, ausser eben einige Behörden und Organisationen? Diese mehr oder weniger naive oder zynische Überforderung der Öffentlichkeit ist das andere Ergebnis des oben angesprochen Missverständnisses, Lehrpläne müssten zugleich die Schule wie die Lernprozesse regulieren. Eine nötige öffentliche Anerkennung und Legitimität für die Klärung des Auftrages der Schule ist so kaum zu bekommen, auch nicht für die Abgrenzung des Berufsauftrages der Lehrerschaft gegen permanent drohende Ausweitung und  Überfrachtung. Das Missverständnis ist freilich auch hier ein bis tief in die Lehrerschaft und ihre Organisationen hinein verbreitetes. Nicht wirklich wissend, was sie damit verlangten, forderten diese einen ´direkt einführbaren´ Lehrplan und erhalten ihn nun in der hypertrophen Gestalt einer interkantonalen Blaupause, in der Schulverordnung, Schulleitbild,  Lehrplan, didaktisch pädagogische Prinzipien und Leitlinien, Unterrichts- und Prüfungsvorgaben untrennbar in einander amalgamiert sind.  Modern mutet das nicht gerade an, viel eher gemahnt es an den Typ einer vormodernen ‚ratio studiorum‘,  wie er noch vor jeder funktionalen Differenzierung und Planzerlegung in Gebrauch war.

Das ist das Widersprüchliche an dieser Konsultation, sie lädt zur Stellungnahme ein und lädt durch Struktur und Umfang zugleich aus. Es ist ja sachlich durchaus richtig und angemessen, ein so komplexes Werk an einer öffentlichen Stellungnahme von Laien weitgehend vorbei zu lenken.  Gewiss ist es nicht sehr zielführend, ein breites Laienpublikum auch über Kompetenzstufen und konstruktivistische Lernparadigmata diskutieren zu lassen, aber wenn man Laien auf diese Weise vom Schuldiskurs fernhält, gefährdet man nicht bloss die politische Legitimation der öffentlichen Schule, sondern verletzt letztlich auch Grundlage von Demokratie. Auch wenn es nicht einfach ist, eine verantwortbare und akzeptable Grenze zwischen dem professionellen Fachdiskurs und dem öffentlichen Gespräch über Schule und Bildung zu ziehen, darin liegt eben die eigentliche Herausforderung solcher Prozesse. Das gilt, je weiter der postmoderne Strukturwandel der Öffentlichkeit voranschreitet, beschleunigt durch die informationstechnologische Revolution und die zunehmende Professionalisierung und Theoretisierung aller Lebenspraxen, auch von Erziehung und Bildung. Wie der öffentliche Schuldiskurs bei fortschreitender Professionalisierung und Verwissenschaftlichung gestaltet werden kann, dazu hätte man ein paar klärende Gedanken und Überlegungen zumindest von Seiten des wissenschaftlichen Projektbeirates erwarten dürfen. Welches wäre denn die angemessen Plattform dafür, wenn nicht der Lehrplan? Aber eben, wie hätte der unter den neuen Bedingungen von Öffentlichkeit  auszusehen?  Wirklich so wie der LP 21? Wohl kaum!

Ich denke, wir bräuchten dringend einen auf die schulischen Bildungsziele und die strukturellen Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht reduzierten Lehrplan, der den Auftrag der Schule wie der Lehrerschaft öffentlich legitimiert klären könnte und kein fachdidaktisch pädagogisches Arbeitsbuch für die Lehrerschaft, wogegen ja auch nichts einzuwenden wäre, wenn es sich nicht als Lehrplan ausgäbe.  50 Seiten hat mal ein kantonaler Erziehungsdirektor zu Beginn des Projektes als Umfang für den LP 21 gefordert. Alles weitere sollte praxisnah entwickelten Schulplänen vorbehalten bleiben. Nun hat man beides ineinander verwoben. Der LP21  ist in seinem Umgang auf mehr als das zehnfache angewachsen.

Wenn man nun bedenkt, dass auch dieser Lehrplan in welcher kantonal modifizierten Form auch immer nicht ohne Lehrmittel und Schulbücher auskommen wird, ohne Lernaufgaben und Prüfungsprogramme, die ihn nach Lage der Dinge und der Dynamik gesellschaftlicher wie erziehungswissenschaftlicher und schulischer Entwicklungen in vielen Aspekten schon bald überholt haben werden, noch bevor er im Jahre 2016 oder 2018 in kraft- und umgesetzt werden wird, so beschleichen einem Zweifel an der Rationalität solcher Übungen.

¨Für alles Lehren und Lernen gilt, dass es grundsätzlich nicht delegierbar ist und nicht stellvertretend von anderen wahrgenommen oder vollzogen werden kann¨ (Benner 2012, 95) *, weder von Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern, noch gar von Bildungsadministratoren und  Lehrplankommissionären. In diesem Sinne hat denn auch schon der Doyen der schweizerischen Bildungsforschung und -soziologie Walo Hutmacher am Züricher Lehrplansymposion von 1999 für eine ¨curriculare Bescheidenheit¨** plädiert. Er tat es exakt im Hinblick darauf, dass Lehrpläne Lernprozesse, individuelle wie institutionelle, nicht direkt steuern können, sie geben lediglich eine grobe Richtung erwünschter Anstrengungen an. Unserem demnächst erscheinendes Studienbuch ¨Lehrplan – Programm der Schule¨*** haben wir  deshalb auch entlastend wie warnend eine Strophe aus Brechts ¨Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens¨ vorangestellt:

Ja, mach´ nur einen Plan
Sei nur ein grosses Licht!
Und mach dann noch ´nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.

Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höh’res Streben
Ist ein schöner Zug.

B. Brecht: Die Dreigroschenoper

Rudolf Künzli im  Juli 2013

[*] Benner, D. (2012). Schule im Spannungsfeld von Input- und Outputsteuerung? In  ders.: Bildung und Kompetenz. Studien zur Bildungstheorie, systematischen Didaktik und Bildungsforschung (95-109). Paderborn: Schöningh.

[*] [*]  Hutmacher, W. (2002). Changing Perspective. In: Rosenmund, M.; Fries, A.-V. & Heller, W. (Eds.), Comparing Curriculum-Making Processes, 333-350). Bern: Peter Lang.

[*] [*] [*] Künzli, R., Fries, A.-V., Hürlimann, W. & Rosenmund, M. (2013. Lehrplan – Programm der Schule. Weinheim: Beltz Juventa.

 

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